Konkurrenz für Amazon.eu: Alibaba nimmt Kurs auf Europa 

Bei dem chinesischen Online-Riesen Alibaba tut sich einiges: Im März 2023 kündigte das Unternehmen die Umwandlung in eine Holdinggesellschaft mit sechs unabhängigen Tochtergesellschaften an. Durch die Aufspaltung in eigenständige Firmen sollen die einzelnen Geschäftssparten wie z.B. Cloud-Dienste („Cloud Intelligence Group“), Logistik („Cainiao Smart Logistics Group“), lokaler Onlinehandel („Taobao Tmall Commerce Group“) und internationaler Onlinehandel („Alibaba International Digital Commerce Group“ – kurz: „AIDC“) unter anderem eigene Verwaltungsräte und Vorstände bekommen, individuell über Börsengänge und andere Kapitalbeschaffungsmaßnahmen entscheiden können und insgesamt agiler werden.  

Zudem bahnt sich bei Alibaba ein Führungswechsel an: Zum September 2023 soll Daniel Zhang als Vorsitzender und CEO zurücktreten, um sich künftig fokussiert um Alibabas Cloud-Business zu kümmern. Neuer CEO wird Alibaba-Mitgründer Eddie Yongming Wu, der aktuell Vorsitzender der C2C-Plattform Taobao und der B2C-Plattform Tmall Group (beide gehören zu Alibaba) sowie ein enger Vertrauter von Alibaba-Gründer Jack Ma ist. Daneben soll Wu weiterhin der Taobao Tmall Commerce Group vorstehen. Der derzeitige stellvertretende Vorstandsvorsitzende Joseph Tsai soll künftig den Vorstandsvorsitz übernehmen. 

Alibabas Expansion auf dem europäischen Markt 

Alibaba nimmt nicht erst im Zuge dieser strategischen Umstrukturierungen Kurs auf Europa. Doch die neu gewonnene Agilität der einzelnen Sparten, die auch bei den Aktionären gut ankommt, dürfte es dem chinesischen Großkonzern leichter machen, sich auf dem europäischen Markt zu etablieren. Das Ziel ist klar: Einer der größten E-Commerce-Player in Europa zu werden. Damit bahnt sich ernsthafte Konkurrenz für Amazon an – erstmalig, denn bisher galt Amazon als unangefochtener Platzhirsch im europäischen E-Commerce-Revier. 

Bereits seit den 2010er Jahren ist Alibabas B2C-Online-Marktplatz AliExpress für europäische Kund:innen zugänglich. 2018 folgte die türkische E-Commerce-Plattform Trendyol, deren Mehrheitseigentümer Alibaba ist. Ende 2021 eröffnete Alibaba am Flughafen Lüttich in Belgien sein erstes Logistikzentrum für AliExpress in Europa. Mit dem 33.000 Quadratmeter großen Logistikumschlagplatz hat Alibaba ein eindeutiges Zeichen gesetzt. In Spanien hat der Konzern seinen Fuß inzwischen auch im stationären Einzelhandelsgeschäft, mit ersten AliExpress-Filialen in Madrid und Barcelona. Ebenfalls in Spanien launchte Alibaba Ende 2022 die trendige Online-Plattform Miravia mit dem Fokus auf Mode, Beauty und Lifestyle. Und vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die Alibaba International Digital Commerce Group (AIDC) die europäische B2B-Plattform Visable (ehemals Wer Liefert Was) aufkaufen wird. Es wäre nicht verwunderlich, wenn demnächst weitere strategische Aufkäufe folgten. 

AliExpress ist auf dem europäischen E-Commerce-Markt längst etabliert

„Day 1“-Kultur als wichtiger Faktor im Konkurrenzkampf  

Mit der schrittweisen Einführung seiner internationalen E-Commerce-Plattformen sowie strategischen Aufkäufen europäischer Onlinehändler ist Alibaba mittlerweile ein ernstzunehmender Konkurrent für Amazon in Europa geworden. Und durch die Aufspaltung des chinesischen Konzerns in kleinere Firmen mit jeweils eigenem Fokus dürfte der Druck auf Amazon weiter wachsen. Denn genau die Flexibilität und Agilität, die Alibaba mit diesem strategischen Schritt anstrebt, scheint Amazon nach und nach abhanden zu kommen. Der amerikanische Konzernriese, der – ähnlich wie Alibaba bisher – mehrere Geschäftssparten, darunter den Amazon Marktplatz, Amazon Web Services (AWS), Amazon Entertainment und Amazon Fresh, unter einem Dach vereint, wird zu groß und zu behäbig, als dass er sich seine vom ersten Tag an beschworene „Day 1“-Kultur bewahren könnte. „Day 1“ beschreibt die ursprüngliche Firmenkultur Amazons, in der sich sämtliche Mitarbeiter jeden Tag so anstrengen und neugierig, motiviert und risikobereit bleiben wie am allerersten Tag. Diese Kultur droht immer mehr verloren zu gehen. AWS CEO Adam Selpinsky warnte Business Insider zufolge kürzlich in einer internen Mitarbeiterversammlung vor der „Day 2“-Kultur“ eines großen Konzerns und erinnerte seine Mitarbeiter an die Wichtigkeit der Startup-Mentalität, die die „Day 1“-Kultur ausmacht: „Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir so handeln wie vor 5, 10, 20 Jahren, unsere Kultur intakt bleibt, unsere Prioritäten intakt bleiben, in Zukunft genauso Großartiges für unsere Kund:innen leisten können wie in der Vergangenheit.“ Im Konkurrenzkampf zwischen Amazon und Alibaba wird ein agiles Mindset sicherlich ein wichtiger Faktor sein.