Sh**t happens?! Amazons Umgang mit FBA-Retouren

Eigentlich ist es eine gute Idee, dass Amazon FBA-Artikel, die von Kund:innen retourniert werden, wiederverkauft. Jedenfalls, solange diese unversehrt und im Originalzustand zurückgegeben werden. Das ist gut für die Seller (kein Geld- oder Warenverslust), gut für Amazon (die Retouren bleiben weder im Lager liegen noch müssen sie entsorgt werden) und gut für die Umwelt (Wiederverwertung).

Doch es kommt immer wieder vor, dass Amazon beschädigte Artikel weiterverkauft. Wenn Artikel, die offensichtliche Gebrauchsspuren aufweisen oder gar beschädigt sind, als neu wiederverkauft werden, ist das nicht nur ärgerlich für die Käufer:innen der gebrauchten Waren. Es kann auch schwerwiegende Folgen für die betroffenen Seller haben.

Benutzte Windel wiederverkauft

Ein besonders drastischer Fall einer FBA-Retoure, die nicht hätte wiederverkauft werden dürfen, ging erst kürzlich durch die Presse und sorgte für erheblichen Aufruhr: Eine benutzte Schwimmwindel wurde samt Inhalt von Amazon als neuwertiges Produkt wiederverkauft. Die, verständlicherweise empörte, Käuferin schrieb daraufhin eine so verheerende Kundenrezension, dass dieser Vorfall das Online-Business des betroffenen Sellers, nämlich einer US-amerikanischen Familie, ruinierte. Dieses hatte selbstentwickelte Schwimmwindeln über Amazon verkauft und sich so erfolgreich eine Kleinunternehmer-Existenz aufgebaut. Inzwischen sitzt die Familie eigenen Angaben zufolge auf einem hohen Schuldenberg und kann von ihrem bis dahin florierenden Online-Business nicht mehr leben.

Keine Hilfe von Amazon

Amazon hatte nicht nur eine gebrauchte Windel weiterverkauft, sondern es zudem im Nachgang versäumt, weder die fatale Kundenrezension zu löschen noch die Fakten richtig zu stellen. In der Rezension wurde unter anderem beklagt, dass „das Unternehmen“ (a.k.a. der Seller) den Artikel vor dem Versand nicht geprüft hätte. Dabei war es Amazon, das den Artikel im Rahmen seines Retouren-Prozesses vor dem Wiederverkauf hätte prüfen müssen. Die Familienunternehmer hatten mehrfach versucht, den Vorfall mit Amazon zu klären und die Kundenrezension löschen zu lassen. Vergeblich. Der Fall ist inzwischen vier Jahre her. Die besagte Kundenrezension wurde erst vor wenigen Wochen gelöscht.

„Als wir vor vier Jahren von diesem Vorfall erfuhren, haben wir schnell Verbesserungen an unserem Retouren-Prozess vorgenommen, um zu verhindern, dass derartige Artikel erneut verkauft werden“, so Amazon. Zudem sei dies ein Einzelfall, Fehler wie diese kämen sehr selten vor. Experten wie Ex-Amazon-Mitarbeiter Jon Derkits bewerten diese Aussage für kritisch: „Sorry, aber das ist doch PR-Geschwätz: Zum einen wurde das FBA-Retouren-Opt-out-Programm erst in der ersten Jahreshälfte dieses Jahres für Seller eingeführt und war erst seit Anfang 2023 für einige Verkäufer in der Beta-Phase. Das ist kaum eine ’schnelle‘ Reaktion. Darüber hinaus behauptet Amazon, dass dies ein isolierter Vorfall sei. Sollen wir also wirklich glauben, dass Amazon vor vier Jahren umfassende Prozessänderungen aufgrund eines einzigen Vorfalls vorgenommen hat?“

Amazons FBA-Retouren-Prozess: Eine Übersicht

FBA-Retouren werden in einem Standard-Prozess von Amazon-Mitarbeitern überprüft und entweder in einen verkäuflichen oder einen nicht verkäuflichen Zustand eingestuft. Das Gleiche gilt für als beschädigt markierte Artikel aus dem FBA-Inventar. Wird ein Artikel als verkäuflich eingestuft, wird er zurück in den verfügbaren Bestand verschoben und kann somit erneut gekauft werden. Wird ein Artikel als nicht verkäuflich eingestuft, wird zunächst die Ursache des Schadens untersucht.

Ist der Schaden durch Amazon verursacht worden, werden dem Seller die Kosten erstattet und das Produkt wird über alternative Kanäle wie Amazon Warehouse oder Woot verkauft. Ist der Schaden auf Seller-Seite verursacht worden, wird das Inventar in den unerfüllbaren Bestand verschoben und aus dem Fullfillment-System entfernt.

So zumindest die Theorie. In der Praxis scheint der Prüfprozess hingegen nicht immer sorgfältig eingehalten zu werden. Immerhin ist es Sellern in den USA seit kurzem möglich, Amazons FBA-Retouren-Programm für ihren gesamten Bestand oder für ausgewählte ASINS zu deaktivieren. Retournierte Artikel werden dann an den Verkäufer zurückgeschickt, sind aber nicht erstattungsfähig. Auf allen anderen internationalen Marktplätzen ist diese Opt-out-Funktion aktuell (noch?) nicht verfügbar. Auch hierzulande bleibt Sellern nichts anders übrig, als darauf vertrauen, dass Amazon zurückgesendete Artikel sorgfältig prüft, bevor diese wiederverkauft werden.

Immer wieder erhalten Seller beschädigte Retouren-Sendungen wie diese von AMazon. In diesem Fall wurde die Kreide vom Seller deutlich als „zerbrechlich“ markiert, d.h. selbst wenn der Kunde die Kreide so zurückgeschickt hat, hätte Amazon die produktverpackung ausreichend polstern müssen, um sie an den Seller zurückzuschicken.

Wie kann Amazon das Vertrauen der Seller stärken?

Dieses Vertrauen aufzubringen, gelingt sicherlich nicht jedem Seller. Denn Fälle wie der hier geschilderte sind, anders als Amazon behauptet, unserer Erfahrung nach kein Einzelfall. Sie lassen darauf schließen, dass Rücksendungen eben nicht immer sorgfältig geprüft werden. Die Folgen müssen in der Regel die Seller ausbaden. Amazon muss seinen Retouren-Prozess dringend verbessern. Die Möglichkeit zum Opt-out aus dem Retouren-Programm ist das eine. Doch dass Seller nach dem Motto verfahren: „Amazons Retouren-Prozess ist so schlecht, dass ich ihn lieber gar nicht erst in Anspruch nehme“, kann und sollte nicht Amazons Anspruch sein. Nur durch zuverlässige Prüfung und adäquate Handhabung von Retouren kann Amazon das ohnehin genügend gebeutelte Vertrauen seiner Seller stärken. Wieder einmal gilt auch hier: Amazon täte gut daran, bei sich selbst dieselben strengen Maßstäbe anzulegen, wie es der Konzern bei seinen Sellern tut.

Tipp für Seller:

Wenn möglich (und solange die Opt-out-Funktion hierzulande noch nicht zur Verfügung steht) ist es sinnvoll, die Produktverpackung so anpassen, dass selbst für gestresste FBA-Mitarbeiter eindeutig ersichtlich ist, wenn sie geöffnet wurde (z. B. mit einem Siegel).