Amazon friert Guthaben von Sellern ein
Es hat in der letzten Zeit für viel Frust bei den Sellern gesorgt: Seit Herbst letzten Jahres Amazon friert immer wieder Einnahmen seiner Seller ein. Besonders Seller, die ihren Umsatz primär über Amazon generieren, sind besorgt. Ohne die Einkünfte aus ihrem Amazon-Business können viele ihre laufenden Kosten (z.B. Mitarbeitergehälter, Wareneinkäufe, Mietkosten usw.) nicht mehr decken – manchen Sellern droht sogar das Aus. Der Auszahlungsstopp scheint in erster Linie Händler aus der EU und dem Vereinigten Königreich zu treffen, die ihre Produkte auf den europäischen Amazon-Marktplätzen vertreiben.
Warum Amazon die Einnahmen der Seller einbehält, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Und auch das trägt zur wachsenden Frustration bei, denn wieder einmal zeigt es den Mangel an Transparenz, den Amazon im Umgang mit seinen Sellern an den Tag legt. Einem Bericht von Onlinehändler News zufolge hatte Amazon den betroffenen Sellern zunächst unterschiedliche Gründe für die Auszahlungsstopps angegeben: Mal sei von IT-Problemen die Rede gewesen, mal von Problemen mit den europäischen Compliance-Regulierungen oder (angeblich) fehlenden Umsatzsteuerangaben.
Umsatzsteuerverpflichtungen als möglicher Grund?
Im November 2023 wurden Mitteilungen von Amazon bekannt, in denen der Konzern angab, dass die Guthaben der Seller aufgrund von umsatzsteuerrechtlichen Vorgaben, die in der EU gelten, eingefroren worden seien: Als Online-Marktplatz muss der Konzern neben Verkäufen importierter Waren auch auf Transaktionen Mehrwertsteuer erheben und abführen, an denen Seller aus dem Ausland beteiligt sind. „Die Mehrwertsteuer wird von Amazon berechnet und beim Check-out vom Kunden einbehalten, Amazon führt diese direkt an die zuständigen Steuerbehörden ab“, wird Amazon in dem Onlinehändler News-Artikel zitiert. Wichtig dabei sei, dass der Ort der Umsatzsteuerpflicht korrekt erfasst ist.
Seit Ende Januar gibt eine erneute Welle an Auszahlungsstopps. In einer E-Mail an einen betroffenen Seller aus Deutschland erklärt Amazon:
„Ihre Auszahlungen wurden in allen Shops….deaktiviert, da wir Hinweise darauf haben, dass Sie möglicherweise nicht für Umsatzsteuerzwecke in der EU ansässig sind. Daher müssen Sie innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt dieser Mitteilung zusätzliche Unterlagen vorlegen, aus denen hervorgeht, dass Ihr Unternehmen gemäß dieser Gesetzgebung in der EU ansässig ist.“
Die E-Mail erhielt der Seller erst 36 Stunden, nachdem er selbst bemerkt hatte, dass ihm seine Einnahmen nicht ausgezahlt werden.

„Shoot first, ask questions later“
„Hinweise…, dass…möglicherweise…“? Eines ist klar: Der Online-Konzern aus dem Land der Cowboys folgt treu dem Motto „Shoot first, ask questions later“. Und genau das ist für viele – rechtschaffene – Seller enttäuschend. Besonders, da es sich einem erneuten Bericht von Onlinehändler News zufolge bei den Auszahlungsstopps um „einen Teil einer kontinuierlich laufenden Überprüfung aller Verkaufskonten“ handelt.
Natürlich ist es durchaus legitim, dass Amazon die Verkaufskonten seiner Seller regelmäßig überprüft. Aber warum der Konzern bei den kleinsten Verdachtsmomenten die Guthaben der Verkäufer einfriert und damit – im schlimmsten Fall – die Existenz von betroffenen Händlern aufs Spiel setzt, ist schwer nachzuvollziehen. Warum erfolgt die Überprüfung nicht zuerst? Ein drohender Auszahlungsstopp sollte für die Seller Anreiz genug sein, um die geforderten Unterlagen zügig vorzulegen, bevor ihr Guthaben eingefroren wird. Mehr „In dubio pro reo“ und weniger „shoot first, ask qestions later“ wäre aus unserer Sicht wünschenswert.
Was können betroffene Seller tun?
Fest steht: Amazon kann Auszahlungen jederzeit und aus allen (un)möglichen Gründen zurückhalten. Damit müssen Seller jederzeit rechnen. Was also können sie tun, wenn Amazon ihr Guthaben eingefroren hat?
In den meisten Fällen werden die Seller per E-Mail über den Auszahlungsstopp informiert und um konkrete Nachweise und (angeblich) fehlende Dokumente gebeten. Seller sollten die geforderten Unterlagen schnellstmöglich, ohne Diskussion und genau in der gewünschten Form einreichen. Ohne Wenn und Aber.
Im genannten Fall wurde der betroffene Seller dazu aufgefordert, folgende Unterlagen einzureichen:
- eine Kopie des Personalausweises (als Identitätsnachweis)
- eine Kopie einer Kreditkartenabrechnung (als Adressnachweis)
- einen aktuellen Gewerbeschein (nicht älter als 180 Tage)
- eine Kopie einer Rechnung für erhaltene Waren oder Dienstleistungen, aus dem die Adresse des eigenen Unternehmens als Lieferadresse hervorgeht.
Insgesamt dauerte es 13 Tage, bis die Auszahlung wieder freigegeben wurde. Seller sollten sich jedoch darauf einstellen, dass es im Einzelfall noch länger dauern kann.
Im Vereinigten Königreich übt die Regierung mittlerweile Druck auf Amazon aus, um – besonders kleinere – UK-Händler zu schützen. Sie hat Amazon eindringlich dazu aufgefordert, die eingefrorenen Guthaben schnellstmöglich freizugeben, bis der Konzern ein adäquates Prüfverfahren entwickelt hat. Bleibt abzuwarten, ob dieser Druck Wirkung zeigt.