Temu erobert Europa

Für Amazon wird die Luft auf dem europäischen E-Commerce-Markt immer dünner. Der US-Konzern hat vor allem mit wachsender Konkurrenz aus dem Reich der Mitte zu kämpfen: nach Alibaba (wir berichteten), Shein und Wish macht sich seit letztem Frühjahr auch die chinesische Online Shopping-Plattform Temu auf dem europäischen Onlinehandelsmarkt breit. Mit großem Erfolg: In Deutschland belegt Temu einem Bericht des Handelsblatts zufolge aktuell Platz vier in der Rangliste der meistgenutzten Online-Marktplätze und liegt damit direkt hinter Amazon, Ebay und dem deutschen Anbieter OTTO. Und das gerade einmal neun Monate nach dem Launch in Europa. 

Jeder vierte Deutsche hat schon mal bei Temu geshoppt 

Eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Appinio belegt, dass jeder vierte Deutsche (26 %) zwischen 16 und 65 Jahren in den letzten sechs Monaten etwas bei Temu gekauft hat. „Wir schätzen, dass mittlerweile bis zu 200.000 Temu-Pakete pro Tag nach Deutschland geliefert wurden und Temu bereits Millionen Nutzen in Deutschland hat, gerade erst acht Monate nach dem Start hierzulande“, erklärt E-Commerce-Experte Alex Graf im Zusammenhang mit der Appinio-Studie. „Keine andere Retail-Plattform konnte in den letzten 50 Jahren ein vergleichbares Wachstum zeigen.”  

„Shoppe wie ein Milliardär“, verspricht Temu seinen Kund:innen

Was ist Temus Erfolgsgeheimnis? 

„Shoppe wie ein Milliardär“, verspricht Temu seinen Kund:innen. Und besticht durch sein riesiges Angebot an (chinesischen) Produkten zu unfassbar günstigen Preisen. Egal, ob Kleidung, Haushaltswaren oder Spielzeug – bei Temu findet man so gut wie alles. Und zwar weitaus günstiger als bei anderen Anbietern. Zumindest, sofern man nicht auf bestimmte Marken festgelegt ist, denn Temu vertreibt hauptsächlich chinesische No-Name-Produkte.   

Anders als Amazon bietet Temu keine eigenen Produkte an, sondern ist ein reiner Online-Marktplatz, auf dem Dritthändler ihre Produkte vertreiben. Die angebotenen Waren stammen größtenteils direkt von chinesischen Herstellern. Da dadurch der Weg über Zwischenhändler wegfällt, können die Produkte zu besonders günstigen Preisen angeboten werden.

Zudem verfolgt Temu eine aggressive Marketing-Strategie. Die bunten Werbebanner der Online-Plattform springen Nutzer:innen überall im Internet entgegen und locken mit „Blitzangeboten“, „Super Angeboten“ und anderen Rabatt-Aktionen. Dabei setzt Temu auf Gamification: Drehscheiben und Minispiele zielen darauf ab, Aufmerksamkeit zu erregen und den Spiel- und Schnäppchenjagdtrieb der Nutzer:innen zu wecken.

Hinter Temu und seinem Erfolgsrezept aus einem riesigen Produktangebot kombiniert mit Schnäppchen-Preisen und aggressivem Marketing steht die chinesische Gruppe Pinduoduo (PDD) Holding, die von Colin (Huang) Zheng gegründet wurde. Zheng gilt als einer der reichsten Personen Chinas. 

Spiele und extreme Rabatte – Temus Konzept geht auf

Kritische Stimmen warnen vor Temu 

Turnschuhe für € 6,45. Taschenlampen für € 2,18. Tennisschläger für € 11,98. Keine Liefergebühren. Wie ist das möglich? Wer auf Temu shoppt, hinterfragt sicherlich nicht, wo und wie die Billigprodukte hergestellt werden. Ebenso wenig die langen Transportwege. „Nachhaltigkeit interessiert den Kunden zwar, er handelt aber nicht danach“, wird E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein in einem Artikel des Verbraucherportals Chip 365 zitiert. Ein Phänomen, das nicht auf Temu beschränkt ist. 

Doch nicht nur beim Thema Nachhaltigkeit gibt es Kritik an Temu. Die Verbraucherzentrale warnt zudem vor minderwertiger Produktqualität und -sicherheit (bei manchen elektronischen Produkten fehlt zum Beispiel das in Europa erforderliche CE-Siegel), langen Lieferzeiten (die Drittanbieter sind selbst für die Lieferung zuständig), Temus schlechtem Kundenservice, seinem Umgang mit personenbezogenen Daten sowie vor versteckten Kosten wie Steuern oder Zollgebühren.  

Ob Temu sich bei der Vielzahl an Kritikpunkten auf dem europäischen E-Commerce-Markt langfristig halten kann und hier zur ernsthaften Konkurrenz für Amazon wird, bleibt vorerst noch abzuwarten. Fest steht jedoch: keine andere Online-Plattform hat bisher einen derartigen Raketenstart in Europa hingelegt. Und das dürfte Amazon zu denken geben.