Als einer der größten Konzerne weltweit nimmt Amazon Einfluss auf wirtschaftliche Entwicklungen. Über die Jahre hinweg haben sich ganz neue Branchen um den Online-Riesen herum entwickelt. Nicht nur in Bereichen wie E-Commerce oder Logistik. Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Marketing-Agenturen, die sich auf E-Commerce-Plattformen spezialisieren, ebenso wie Beratungsunternehmen und Solopreneure, die Online-Händler ganzheitlich bei ihrem Amazon-Business unterstützen.
Und in den USA zeichnet sich seit einiger Zeit ein regelrechter Boom an Anwaltskanzleien ab, die sich ausschließlich mit Klagen gegen Amazon befassen, wie unter anderem die Financial Times kürzlich berichtete (Paywall). Diese Kanzleien – oftmals kleine Firmen bzw. einzelne Anwälte – verteidigen Seller gegen Account-Sperrungen und andere Hürden, die ihnen als Drittanbieter auf der Online-Plattform begegnen. Und ihr Business floriert.

Die Seller klagen vor allem gegen Produkt- oder Account-Sperrungen, die nicht nachvollziehbar sind oder nicht – bzw. nur mit sehr viel Verzögerung – aufgehoben werden, obwohl die dazu geforderten Dokumente und Nachweise längst eingereicht worden sind. Und fordern Schadensersatz. Denn während die Produkt- und Account-Sperrungen einzelner Händler für Amazon nicht ins Gewicht fallen, sind diese für die gesperrten Seller selbst oftmals kritisch – zum Teil sogar existenzbedrohend. Hierüber hatten auch wir bereits am Fallbeispiel eines deutschen Sellers berichtet.
Amazon verteidigt sein rigoroses Vorgehen bei (vermeintlichen) Verstößen gegen seine Marktplatz-Richtlinien mit dem Argument der Sicherheit: Der Konzern wolle seine Kunden ebenso wie seine Marktplatzhändler vor Betrug schützen und einen fairen Wettbewerb auf seinen Marktplätzen garantieren. Viele Händler fühlen sich jedoch alles andere als geschützt. Im Gegenteil. Sie fühlen sich der Willkür des Online-Riesen ausgesetzt.
Lohnt sich eine Klage für Seller?
Immer mehr betroffene Seller wehren sich daher mit juristischen Mitteln gegen Amazons intransparenten Umgang mit gesperrten Listings, gesperrten Accounts oder Auszahlungsproblemen. Obwohl das richtig teuer werden kann. Denn in vielen Seller-Verträgen finden sich sogenannte „Arbitration-Klauseln“, mit denen Amazon den Sellern ein gerichtliches Verfahren untersagt. Stattdessen können die Seller Amazon nur im Rahmen eines Schiedsgerichtsverfahrens anklagen. Aus Sicht von Amazon macht das Sinn: Schiedsgerichtsverfahren werden im Gegensatz zu gerichtlichen Verfahren vertraulich abgewickelt. Die Öffentlichkeit bekommt nichts davon mit. Auch werden mit den Urteilen keine Präzedenzfälle geschaffen. Vor allem aber kann das Schiedsgerichtsverfahren für die Kläger teuer werden. In dem Financial Times-Artikel ist von 25.000 US-Dollar und mehr die Rede.
Fazit
Die steigende Zahl an juristischen Verfahren zeigt, wie groß und wie dringend der Schmerz vieler Seller ist. Da es bislang weder einen klaren Workflow noch einen funktionierenden Seller Support seitens Amazons gibt, fühlen sie sich bei Account-Problemen von Amazon im Stich gelassen. Das ehemals als „Amazon Verkaufspartner 360“ bekannte Strategic Account Services (SAS)-Programm hat zwar umgesattelt und bietet jetzt neben einem „Essentials Plan“ auch einen „Pro Plan“ an, der explizit Unterstützung bei operativen Problemen verspricht. Aber auch hierfür ist ein tiefer Griff in die Tasche erforderlich. Bei einem Mindestbeitrag von EUR 1.600 monatlich sind die oben erwähnten USD 25.000 schnell erreicht. Es ist in jedem Fall hilfreich, sich bei Account-Problemen an erfahrene Experten zu wenden, um sich externe Unterstützung zu holen. Aber ob sich eine Klage über einen Anwalt tatsächlich lohnt, sollte besser gut abgewogen werden.